Der Tatort in der „Nachnutzung“
Weilmünster und der Rückzug der Klinik
Am 1. Oktober 2020 gab der heutige Träger der Einrichtung in Weilmünster, die Vitos Weil-Lahn gGmbH, bekannt, dass er in Verhandlung mit dem Kreiskrankenhaus (KKH) Weilburg sei, um die beiden Kliniken am Standort des KKH zusammenzulegen. Mit Blick auf das Vitos-Gelände in Weilmünster mit seinen etwa 20 Gebäuden auf zehn Hektar Fläche werde über mögliche Konzepte der „Nachnutzung“ diskutiert. Wie das Weilburger Tageblatt am 18. Dezember 2020 berichtete, habe eine „Steuerungsgruppe“, bestehend aus Vitos-Geschäftsleitung, Vertretern der Kommunalpolitik und weiteren Personen des Marktfleckens Weilmünster, moderiert von einem Ingenieurbüro für Regionalentwicklung, verschiedene Vorschläge diskutiert. Auf dem Gelände könne moderner Wohnraum geschaffen werden, ein Teil könne touristische erschlossen werden (Hotel sowie Event-Locations), auch die Ansiedlung von Gewerbe (Co-Working-Spaces, Handwerkerhof) sei eine Option. Mögliche Investoren seien aufgefordert, nicht nur ihr Interesse zu bekunden, sondern auch konzeptionelle Ideen einzubringen.
Nach Protesten, die forderten „das schwere historische Erbe als Tatort von NS-Massenverbrechen“ bei allen weiteren Planungen zu berücksichtigen, beeilte sich Vitos Weil-Lahn zu versichern, dass dem Konzern „die Verantwortung für das Andenken der hier im Nationalsozialismus ermordeten Menschen ein wichtiges Anliegen“ sei, daher werde „die besondere Geschichte des Standorts bei der Zukunftsentwicklung“ einbezogen. Diesbezüglich sei man „im Gespräch“ mit der Gedenkstätte Hadamar (Zitate aus der Pressemitteilung Vitos Weil-Lahn vom 27. Januar 2021). Die Vitos-Holding ist ein Tochterunternehmen des Landeswohlfahrtsverbandes, der – wie es in einem Beitrag des Hessischen Rundfunks anlässlich der Vorgänge hieß – „wiederum als Kommunalverband von den Landkreisen und kreisfreien Städten Hessens getragen wird. Als größter Betreiber ambulanter und stationärer Einrichtungen für psychisch Kranke im Bundesland kommt er an vielen seiner Standorte an der NS-Vergangenheit nicht vorbei.“ (Romantik-Hochzeiten am Ort des NS-Verbrechens? HR-Online/hessenschau.de vom 17. Februar 2021; nicht mehr abrufbar)
Anfang März 2021 gab Vitos bekannt, dass am Standort Weilburg ein Neubau des Kreiskrankenhauses errichtet und die Klinik Weilmünster vollständig verlagert werden solle. Angesichts des in Aussicht gestellten Gesamtinvestitionsvolumens von vermutlich 100 Millionen Euro zeigten sich Kreispolitiker erfreut, dass Arbeitsplätze bei einem „guten öffentlichen Arbeitgeber“ erhalten blieben (Weilmünster Tagblatt vom 10. März 2021). Im Dezember 2021 stellte das Land Hessen (durch das Hess. Ministerium für Soziales und Integration) in Aussicht, den angestrebten Klinikneubau mit 26 Millionen Euro zu bezuschussen. Der sich abzeichnende Rückzug der Vitos gGmbH aus Weilmünster müsse, so betonten verschiedene Kommunalpolitiker im Jahr darauf, für den Marktflecken „nicht nur akzeptabel“ sein, sondern möglichst „einen Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger“ schaffen (Nassauische Neue Presse vom 10. März 2022).
Im April 2022 bot Vitos Weil-Lahn „ein ehemaliges Klinikgebäude“ in Weilmünster zur Unterbringung geflüchteter Menschen aus der Ukraine an. Inzwischen hatten sich die Mitglieder der sog. Steuerungsgruppe zum vierten Mal getroffen, um über die „möglichen Nachnutzungen des Klinikgeländes“ zu beraten. Es sei Konsens gewesen, dass „die besondere Geschichte des Standortes bei der Konzeptentwicklung mit einbezogen und der Aspekt des Gedenkens Teil des Nachnutzungskonzepts“ sein müsse. Nun gehe es darum, ein Büro auszuwählen, das das künftige Vergabeverfahren organisiert (Weilburger Tageblatt vom 5. April 2022).