Oskar Rolf wurde am 4. 2.1916 in Telgte bei Münster geboren und verbrachte fast sein ganzes Leben  dort. Sein Vater war von Beruf Seiler und die Mutter Hausfrau. Oskar Rolf hatte acht Geschwister, vier jüngere und vier ältere – sowie einige Stiefgeschwister. Er verdiente seinen Lebensunterhalt überwiegend als Hilfskraft in landwirtschaftlichen- oder anderen Gewerbebetrieben, obwohl er mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen zurecht kommen musste und ihm das Lernen schwer fiel. So war er auf einem Ohr taub und litt unter epileptischen Anfällen. Er selbst führte das Anfallsleiden auf die Prügel seines Lehrers zurück. Seine Schulbildung beschränkte sich auf vier Klassen und er verließ die Schule schließlich als Sechzehnjähriger. Zu dieser Zeit zog er auch von zuhause aus und arbeitete in verschiedenen Arbeitsstellen als Knecht oder Gehilfe bei Gastwirten oder in bäuerlichen Betrieben. Als er 20 Jahre alt war, wurde seine Mutter in das St. Rochus-Hospital eingeliefert, eine der ältesten psychiatrischen Einrichtungen Westfalens. Julia Rolf, verstarb dort 1941 im Alter von 65 Jahren. Zwischen 1936 – und 39 war Oskar als landwirtschaftlicher Gehilfe im St. Rochus Hospital beschäftigt, also ganz nahe bei seiner Mutter.

Ab Februar 1940 zog er in eine Einrichtung für obdachlose Männer in Münster. Von dort brachte man ihn vermutlich wegen schwerer epileptischer Anfälle in der Provinz- Heil- und Pflegeanstalt Münster Marienthal unter. Da die Eltern für die Kosten der Unterbringung nicht alleine aufkommen konnten, musste die Stadt Telgte einen Teilbetrag übernehmen. Bereits 1937 hatte ein Amtsarzt in Telgte einen Sterilisierungsantrag für Oskar Rolf gestellt, der vom Erbgesundheitsgericht abgelehnt worden war. Der Nachweis, dass es sich bei ihm um eine erbliche Epilepsie handelte, konnte nicht erbracht werden. In einem vom Leiter der Einrichtung Marienthal gestellter Folgeantrag wurde dagegen anders entschieden und Oskar Rolf wurde 1941 im evangelischen Krankenhaus in Münster zwangssterilisiert.

Anschließend wurde er entlassen. Er berichtet im September 1942, er sei in der Zwischenzeit zu einer seiner Schwestern nach Holland gegangen, habe aber dort seine Medikamente nicht bekommen. Außerdem habe ihm das dortige Essen nicht geschmeckt. So sei er nach Telgte zurückgekehrt und habe in christlichen Hospizen, aber auch in Bahnhöfen, in Luftschutzräumen und einmal sogar dort in einer Gefängniszelle übernachtet. Der Telgter Bürgermeister habe ihn in einer Bäckerei unterbringen wollen, was aber nicht glückte. Aus seinem Arbeitsbuch geht hervor, dass Oskar zahlreiche Arbeitsstellen hatte, die aber oft beendet wurden, weil es Auseinandersetzungen gab oder die Arbeitgeber ihn nach Anfällen nicht weiter beschäftigen wollten.

Dr. Joseph Koch schrieb das Einweisungsgutachten für einen erneuten Aufenthalt in der Provinzheilanstalt Münster. Dieser Telgter Arzt hielt sie jedoch für vermeidbar und machte deutlich, dass der 26-jährige bei entsprechender Medikamentengabe und Unterstützung in einem landwirtschaftlichen Betrieb durchaus außerhalb der Anstalt zurechtkommen könnte. „Falls keine Unterbringung privat möglich ist, bleibt allerdings eine Unterbringung in einer Pflegeanstalt als letztes übrig,“ heißt es darin.

Oskar war sparsam und konnte trotz der allgemeinen Not wirtschaften. So zahlte er mehrfach kleinere Beträge auf sein Sparkassenkonto ein. Er scheint also auch nicht ohne Hoffnung auf ein selbstständiges Leben gewesen zu sein. Doch es kam anders.

Doch offenbar ließ sich eine private Unterbringung nicht mehr ermöglichen. Die Stadt Telgte stellte den Antrag an die Provinzialheilanstalt Münster, für ihn Invalidenrente zu beantragen. Ein entsprechender ärztlicher Bericht ist vom achten Januar 1943 datiert. Doch ein Bescheid erging nicht mehr. Nachdem er am 29. Juni 1943 mit einem Sammeltransport in die Anstalt Eichberg verlegt wurde, finden sich keine Eintragungen ärztlichen Inhalts mehr in der Krankenakte. Am 13. 10. 1943 wird Oskar – wieder mit einem Sammeltransport weiter – in die Anstalt Weilmünster verlegt.

Spätestens jetzt dürfte der Kontakt zur Familie unterbrochen worden sein. Ohnehin bestand offiziell ein Besuchsverbot in der Anstalt, das mit kriegswichtigen Maßnahmen begründet wurde. Dort heißt es: „Hat nur wenig Anfälle – früher habe er als Hilfsarbeiter gearbeitet – lebt untätig dahin, bekommt seine Anfälle“ und als letzter Eintrag erfolgt in Weilmünster „steht immer ganz still und teilnahmslos im Saal herum – wird, um Platz zu schaffen, nach M III verlegt.“

Der Familie schreibt der Anstaltsleiter, Weilmünster würde für Lazarettzwecke gebraucht. Am 29. September 1944 wird Oskar nach Hadamar gebracht. Bereits einen Monat später, am Morgen des 30. Oktober ist er tot. In der Krankenakte wird als Todesursache vermerkt ‚Herzschwäche und epileptischer Anfall‘.

Als eine der Schwestern sich 1946 in einem Brief an die Anstalt nach ihrem Bruder erkundigte, erhielt sie folgende Auskunft:

„Sehr geehrte Frau Klömmer!

Zu meinem größten Bedauern muss ich Ihnen die traurige Mitteilung machen, dass Ihr Bruder Oskar bereits am 30.1.1944 in der hiesigen Anstalt versorben ist.Ihr Bruder, der ja an Epilepsie litt, ist nach der Sterbeurkunde und der Krankengeschichte damals an gehäuften epileptischen Anfällen erkrankt und hat darin den Tod erlitten. Wie eine Aktennotiz der früheren Anstaltsleitung besagt, sind die Eltern gestorben und weitere Angehörige nicht bekannt gewesen…wenn etwas Sie über den Verlust Ihres Bruders trösten kann, so ist es vielleicht der Gedanke, dass sein Leiden unheilbar war.“

Oskars Schwester jedoch ließ sich mit dieser Antwort nicht abspeisen sondern holte sich Hilfe bei einem Beamten des Oberpräsidiums der Provinz Westfalen, der nun seinerseits die Anstaltsleitung Hadamar anschrieb:“In Ihrem Schreiben vom 9.ds. Mts. In Sachen des am 30.10.44 dort gestorbenen Oskar Rolf aus Telgte heisst es, dass die damalige Anstaltsleitung auf der Sterbeurkunde die von Ihnen wiederholten Angaben verzeichnet hat.Ich bitte um Äußerung, ob fpr die jetzige Anstaltsleitung begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass die Todesursache falsch angegeben ist. Wurde 1944 noch Euthanasie vorgenommen?“

Die Antwort lautete: „Nach den Ergebnissen der bisherigen Untersuchungen und Vernehmungen durch die amerikanische Geheimpolizei, die deutsche Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei in der hiesigen Anstalt sowie durch meine Erfahrung und das Studium der Akten und Krankengeschichten der Verstorbenen der Jahre  Ende 1942 bis März 1945 bin ich zu der Annahme gekommen, dass auch Oskar Rolf nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Die sogenannte Euthanasie wurde hier noch in dem angegebenen Zeitraum vorgenommen.“

Quellen: Standesamtsakte Stadt Telgte, Stadtarchiv Telgte, Hausstandskarten; C 902, C 903. Transportlisten der westf. Heil- und Pflegeanstalten, Archivamt des LWL, Bestand 840-22/6, Christophorushaus Münster, christhophorushaus-muenster.de 10.3.2016, Schreiben des LWV Hessen vom 28.4. 2016; Gedenkstätte Hadamar, Krankenakten.

Die Biografie Oskar Rolfs wurde von Dorothea Beck recherchiert. Ein weiterer Text zu Oskar Rolf findet sich in: Beck, Dorothea; Kröner, Hans-Peter; Beck, Klaus (Hg) Erinnerung und Mahnung – Verein zur Förderung des Andenkens an die Juden in Telgte: Gedenkbuch für Telgter Opfer des Nationalsozialismus, Telgte, 2017).

Ich danke dem Verein und Frau Beck herzlich für die Erlaubnis, die Recherche als Grundlage dieses Textes verwenden zu dürfen.

 

Barbara Stellbrink-Kesy im Juli 2024