Gedenken an meinen Vater Georg Friedrich Raab (1901 – 1940):
Georg Friedrich Raab wurde am 21. Juli 1901 als ältester Sohn von Georg Raab und Barbara Raab in Frankfurt am Main geboren.
Sein Bruder wurde 1904 und seine Schwester 1907 geboren. Der Vater arbeitete als Werkzeugmacher bei der Firma Kleyer in Frankfurt; die Mutter war Hausfrau.
Die Eltern lebten in relativ bescheidenen Verhältnissen und konnten Georg Friedrich, trotz seiner guten geistigen Fähigkeiten, nur die Volksschule (Hellerhofschule) besuchen lassen. Danach ging er auf die ‚Höhere Handelsschule‘ und lernte den Beruf eines Bankkaufmanns.
1929 heiratete er Elisabeth Raab geb. Sperlé aus Frankfurt. Unter anderem war er als Hauptbuchhalter bei der Firma Philipps beschäftigt, die 1930 ihren Firmensitz nach Berlin verlegte. Er ist nicht mit nach Berlin gegangen, da sich 1930 das erste Kind ankündigte und er den Wohnortwechsel seiner Familie nicht zumuten wollte. Das Ehepaar zog in eine ganz neue und für die damalige Zeit moderne Wohnung in der Hellerhofsiedlung, wo ich auch als Tochter geboren wurde (05.01.1931) und die ersten zwei Jahre meines Lebens aufgewachsen bin. Aufgrund der großen Arbeitslosigkeit (1933) wurde mein Vater arbeitslos und fand keine Neuanstellung mehr. Das Ehepaar war dadurch gezwungen, diese Wohnung aufzugeben und in eine sehr einfache Zwei-Zimmer Wohnung zu ziehen.
Durch all diese Vorkommnisse wurde mein Vater psychisch krank und hatte Halluzinationen; er hörte z. B. Stimmen. Diagnostiziert wurde Schizophrenie Er wurde etliche Male in die Psychiatrie der Uniklinik Frankfurt eingewiesen. In der Zeit von ca.1933 bis ca. 1937 wurde er im Wechsel stationär in der Klinik aufgenommen und immer wieder entlassen.
1937 meldete mich mein Vater noch in der Schule an und danach wurde er wieder eingewiesen und von der Psychiatrie der Uniklinik Frankfurt in die Heilanstalt Weilmünster verlegt.
Meine Mutter war gelernte Schuhverkäuferin und später bei der Stadt Frankfurt als kaufmännische Angestellte tätig. Sie war auch sehr oft krank und im Krankenhaus.
Durch die schlechten finanziellen Verhältnisse konnten wir – nach meinen Erinnerungen – nur einmal meinen Vater in der Heilanstalt Weilmünster besuchen. Es muss in der Zeit 1938 / 1939 gewesen sein. Wir haben ihn auf einem Hof der Heilanstalt Weilmünster gesehen und ich kann mich noch daran erinnern, dass mir mein Vater, wie ein alter Mann mit schlohweißen Haaren und völlig abgemagert vorkam, der mir fremd war. Ich kann mich auch noch an einen Wärter erinnern, der ihm gut gesonnen war, dass dieser meiner Mutter gegenüber erwähnt hat, dass er sich sehr gut mit ihm unterhalten kann, wenn er klar ist.
Meine Mutter und ich waren völlig ahnungslos und hofften, dass er in der Klinik gesund wird und wieder entlassen wird und zu uns zurückkehren kann. 1940 bekam meine Mutter ganz plötzlich und unverhofft die Nachricht, dass ihr Mann verstorben ist. Bei der Nachfrage, da der Tod so überraschend kam, wurde die Ursache Lungenentzündung genannt.
Mein Vater lebte nicht von Geburt an mit einer Behinderung, er war ein gebildeter und belesener Mann, den mit dieser Krankheit das Schicksal getroffen hat.
Später hatten meine Mutter und ich immer ein ungutes Gefühl, aber keine Gewissheit darüber, dass mein Vater eines unnatürlichen Todes gestorben ist.
Meine Mutter und ich, die wie bereits erwähnt, kränklich war, hatten es nach dem Tod meines Vaters sehr schwer. Von Seiten meines Onkels bzw. Tante hatten wir kaum Unterstützung. Im Gegenteil, meine Mutter wurde mehr oder weniger für die Krankheit, die meinem Vater widerfuhr, verantwortlich gemacht.
Erst in den letzten Jahren habe ich bewusst in den Medien mehr über die Einrichtungen in Hadamar und Weilmünster erfahren, was genau in diesen Heilanstalten passiert ist. Das hat mich noch im Nachhinein sehr mitgenommen. Besonders als meine Tochter auf der Internetseite im Gedenkbuch Weilmünster den Namen meines Vaters mit Geburtsdatum, Geburtsort, Wohnort und Todestag, was zu 100 Prozent übereinstimmt, gefunden hat.
Mit diesem Gedenkschreiben an meinen Vater Georg Friedrich Raab möchte ich ihm nach so langer Zeit ein Gesicht geben unter all den 6000 Ermordeten, die in diesen Einrichtungen umgekommen sind und ihm eine letzte Ehre erweisen, damit das ‚Schreckliche‘, was in dieser Zeit passiert ist, nicht in Vergessenheit gerät.
In Erinnerung an meinen Vater
Lieselotte Helfmann geb. Raab
Rödermark, den 24.10.2023