In der Landesheilanstalt Weilmünster waren seit Gründung der Einrichtung Menschen jüdischer Konfession untergebracht. Für diese Patient:innen wurde um die Jahrhundertwende rituelle Verpflegung bereitgestellt [1]; ebenso wurde auf dem Klinikgelände ein jüdischer Friedhof angelegt. Die geistliche Betreuung der jüdischen Patient:innen wurde um die Jahrhundertwende von Bezirksrabbiner Dr. Landau (Weilburg) sichergestellt. Die Anzahl der in Weilmünster betreuten Menschen jüdischer Konfession betrug um 1903 etwa 40 bis 50 Patient:innen, nach Beginn des Ersten Weltkrieges stieg diese Zahl auf über 70 an.[2]

Bis gegenwärtig sind keine Quellen bekannt, die Aufschluss darüber geben, bis wann den spezifischen religiösen Bedürfnissen jüdischer Patient:innen in Weilmünster von Seiten der Anstaltsleitung nachgekommen wurde.

Spätestens im Jahr 1938 war in der Anstalt Weilmünster eine Ghettoabteilung für als “jüdisch” geltende Anstaltsinsassen eingerichtet worden. Dies ist im Bericht einer Besuchskommission, die Anfang 1939 sämtliche nassauische Anstalten bereiste und begutachtete, hervorgehoben: „Zu begrüßen war die Maßnahme, daß, -soweit dies im Rahmen der Anstalt sich durchführen ließ- die Juden in einer getrennten Abteilung untergebracht sind.“[3] Wo genau sich diese Ghettoabteilung auf dem Gelände der damaligen Landesheilanstalt befand, wie unter den Bedingungen der NS-Rassegesetze Pflege stattfand – und ob überhaupt – ist bis gegenwärtig unbekannt.

Die in der Anstalt Weilmünster ghettoisierten, als „jüdisch“ geltenden Patient:innen kamen aus dem Gebiet des damaligen deutschen Reiches und dem benachbarten Ausland. Meist waren sie zuvor in nassauischen Anstalten untergebracht und wurden, wie beispielsweise die jüdischen Bewohner des Idsteiner Kalmenhofes, in den Jahren 1937 und 1938 gruppenweise in Sammeltransporten nach Weilmünster verbracht.

Die Ghettoabteilung in Weilmünster taucht in den Unterlagen der im Mai 1939 im Deutschen Reich durchgeführten Volkszählung als “Jüdisches Heil- oder Pflegeheim Weil-Straße 9“ auf. Unter dieser, die statistisch nachweislich tödlichen Lebensumstände verschleiernden Begrifflichkeit sind 110 als “jüdisch” geltende Menschen namentlich zu fassen, die im Mai 1939 in der Ghettoabteilung Weilmünster zwangsweise untergebracht waren. Es handelt sich um 46 Frauen und 64 Männer aus allen Altersgruppen. Die Älteste war die am 6. Oktober 1860 in Mogendorf/Unterwesterwaldkreis geborene Esther Fried, als Jüngste ist das Kind Hanna Appel, geboren am 16. April 1934 in Wachenbuchen, verzeichnet. Beide kamen in Weilmünster ums Leben. Die Mutter von Hanna Appel, „Malchen“ Appel wurde nach Hadamar deportiert und in der dortigen Gaskammer ermordet. Auskunft über die katastrophalen Lebensverhältnisse im „Jüdischen Heil- oder Pflegeheim“ Weilmünster geben die in den Sterbeurkunden verzeichneten Todesursachen. In den Jahren 1939 bis 1940 starben in der Anstalt Weilmünster annähernd 60 Menschen jüdischer Herkunft. Diese Sterbeursachen verweisen auf Vernachlässigung, Mangelernährung und absichtsvolles Sterbenlassen. Im ersten Halbjahr 1940 sollen in Weilmünster alleine 27 Menschen jüdischer Herkunft an „natürlichen Todesursachen“ verstorben sein. In der überwiegenden Zahl der Fälle werden „Tuberkulose“, „Marasmus“ und Infektionskrankheiten als Sterbeursache angegeben. Die Namen und Lebensdaten derjenigen Menschen, die in der Ghettoabteilung in Weilmünster untergebracht waren und die fast sämtlich dem Holocaust zum Opfer fielen, werden in einem separaten Verzeichnis unterhalb dieses Textes sichtbar gemacht. Nicht in allen Fällen konnten die Sterbeorte ermittelt werden.

[1] LWV Archiv (Kassel) B 19 Nr. 76.

[2] Christina Vanja. „eitel Lust und Freude herrscht wirklich nicht darin“ – Die Landes- Heil und Pflegeanstalt Weilmünster 1897-1921. In: 100 Jahre Krankenhaus Weilmünster. Heilanstalt Sanatorium Kliniken 1897-1997. Historische Schriftenreihe Quellen und Studien Band 4 Hg. Landeswohlfahrtsverband Hessen (1997) S. 29.

[3] LWV Archiv (Kassel) B 1 Nr. 276.