Ewald Petry wurde am 29. Januar 1918 in Weilburg-Waldhausen geboren. Er war evangelisch getauft und wuchs gemeinsam mit einer Schwester auf. Nachdem er die Volksschule absolviert hatte, besuchte er die Landwirtschaftsschule in Weilburg und verdiente seinen Lebensunterhalt als Bergmann. Ewald Petry blieb unverheiratet. Um das Jahr 1935 kommt es laut der Einträge in seiner Patientenakte zu Konflikten innerhalb seines erweiterten sozialen Umfeldes. Diese werden im Rahmen der später vorgenommenen medizinischen Anamnese mit einer beginnenden seelischen Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Im Mai 1937 wird Ewald Petry erstmalig in der Universitäts-Nervenklinik in Gießen einer Heilbehandlung zugeführt. Im Herbst des gleichen Jahres ist er für einige Wochen in der Heil- und Pflegeanstalt in Gießen untergebracht. Der Vorsitzende des Kreisausschusses Weilburg erwirkt mit Schreiben vom 8. November 1937 die Verlegung von Ewald Petry in die bezirkseigene Anstalt Weilmünster. Begründet wird dieser Schritt mit den dort deutlich günstigeren Pflegekosten: „Die Kosten in der dortigen (Gießen) Landesheilanstalt betragen rd. 3,50 täglich, während die sog. Spezialpflegekosten in einer bezirkseigenen Anstalt des Landesfürsorgeverbandes (Weilmünster) nur RM 1,75 betragen.“ Aufgrund des kurzen Zeitraums seiner Berufstätigkeit als Bergmann hatte Ewald Petry keine Anwartschaften auf eine Invalidenversicherung erworben. Somit endet die Kostenträgerschaft der Knappschaftskasse Weilburg mit dem 11. November 1937. Ewald Petry wird „ausgesteuert“. Die Finanzierung der Anstaltsunterbringung liegt fortan bei der öffentlichen Hand. Mit der Unterbringung in der Anstalt Weilmünster ändern sich die Lebensumstände für Ewald Petry dramatisch. Akteneinträge zu seinem Gesundheitszustand finden nur noch selten, zum Teil mit Abständen von vier Monaten und mehr statt. Während in Gießen dokumentierte Versuche unternommen worden waren, das Befinden von Ewald Petry medikamentös zu verbessern oder ihn im Rahmen einer Arbeitstherapie in der Gärtnerei zu beschäftigen, liegt er in Weilmünster offenbar ausschließlich im Krankensaal. Medizinische Behandlung oder arbeitstherapeutische Angebote finden in Weilmünster nicht statt, um Kosten zu sparen. Anfang Dezember 1938 bittet seine Mutter um Beurlaubung aus Anlass der Weihnachtstage. Im darauffolgenden Jahr verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Ewald Petry signifikant. Er leidet an Hauterkrankungen, die mutmaßlich durch die schlechte Ernährungs- und Pflegesituation und die desolaten hygienischen Bedingungen in der Anstalt Weilmünster begründet sind. Die Einrichtung war zu diesem Zeitpunkt mit rund 1500 Patient:innen überbelegt, auf 500 zu Betreuende kam jeweils nur ein Arzt. Die überwiegende Zahl der in Weilmünster Untergebrachten war sich selbst überlassen und wurde weder gepflegt noch ausreichend ernährt. Auch von einer menschenwürdigen Behandlung konnte in der Anstalt Weilmünster nicht die Rede sein. Zahlreiche Berichte Überlebender über Gewaltakte seitens der Pflegekräfte gegenüber Schutzbefohlenen legen dies nahe. Am 24. November 1939 findet sich der vorletzte Eintrag in der Krankenakte, es schließt sich eine Dokumentationslücke von fast eineinhalb Jahren an, die auf die systematische und absichtsvolle Vernachlässigung der in Weilmünster untergebrachten Schutzbefohlenen hindeutet. Der letzte Akteneintrag am 23. Mai 1941 verweis auf den Umstand, Ewald Petry sei „häufig unsauber“. Somit wird Ewald Petry in jene Gruppe von Patient:innen eingeordnet, für die ein erhöhter Pflegeaufwand zu erbringen ist – für die so klassifizierten Anstaltsinsassen bedeutete dies in der Zeit des Nationalsozialismus in der Regel das Todesurteil, zumal Ewald Petry auch mit dem Selektionsmerkmal „nicht arbeitsfähig“ belegt ist. Mit dem Hinweis „Verlegt auf Anordnung“ endet die Akte von Ewald Petry, der von der Anstaltsleitung in Weilmünster selektiert und zur Ermordung „freigegeben“ wurde. Ewald Petry wird am 23. Mai 1941 gemeinsam mit weiteren 31 Anstaltsinsassen von Weilmünster in die Tötungsanstalt Hadamar transportiert und unmittelbar nach seiner Ankunft in der dortigen Gaskammer ermordet. Den Angehörigen wird mitgeteilt, Ewald Petry sei an einer natürlichen Todesursache verstorben.
Quellen: BAB Berlin Best. R 179 Nr. 1003; HHStaWi Abt. 461 Nr. 32061;Peter Sandner. Die Anstalt Weilmünster im Nationalsozialismus (1997);Christoph Schneider: Hadamar von innen (2020).