Annemarie Elisabeth Wyneken kam am 5. April 1906 als Tochter von Luise Wyneken geb. Dammermann in Berlin Wickersdorf zur Welt. Luise Wyneken war die Ehefrau des Reformpädagogen Gustav Wyneken (1875-1964). Annemarie Wyneken hatte eine ältere, im Jahr 1903 geborene Schwester, Ilse Irene. Zum Zeitpunkt der Geburt von Annemarie Wyneken war die Ehe der Eltern bereits zerrüttet. Gustav Wyneken war nicht der leibliche Vater von Annemarie Balser, kam jedoch für ihre Erziehung und Ausbildung auf.

Annemarie Wyneken wuchs bei ihrer Mutter in Jena auf, besuchte das dortige Lyzeum und begann im Jahr 1931 ihre Ausbildung als Volksschullehrerin in Frankfurt am Main. Das Studium schloss sie im März 1933 erfolgreich mit dem Staatsexamen ab.

Während der Zeit ihres Studiums hatte Annemarie Wyneken ihren späteren Ehemann, Wilhelm Balser, kennengelernt. Wilhelm Balser war am 10. September 1912 als Wilhelm Adams geboren und im Alter von zwei Jahren Vollwaise geworden, woraufhin er von der Schwester seiner Mutter adoptiert wurde und den Familiennamen Balser erhielt. Im Oktober 1934 heiratete Annemarie Wyneken, die nach ihrem Examen an verschiedenen Stationen als Lehrerin tätig gewesen war, Wilhelm Balser und gab ihren Beruf auf. Die Familien des Ehepaares standen der Verbindung aus unterschiedlichsten Gründen, nicht nur wegen des Altersunterschiedes, äußerst kritisch gegenüber.

In den Jahren 1935, 1938 und 1940 wurden drei Kinder in die Ehe geboren. Wilhelm Balser war bekennender Nationalsozialist und Mitglied der SS. Mit dem Überfall auf Polen im September 1939 wurde Wilhelm Balser zur Wehrmacht eingezogen und war fortan in Kriegshandlungen involviert. Ende Mai 1940 soll Wilhelm Balser als Kriegsteilnehmer in das Massaker von „Le Paradis“ nahe der französischen Stadt Lestrem involviert gewesen sein.

Nach der Geburt des dritten Kindes war Anne Balser kurzzeitig in das Sanatorium Dr. Wolff in Katzenelnbogen eingewiesen worden. Nach Auffassung von Wilhelm Balser war die lange Trennung der Eheleute ein Grund für die seelische Erkrankung seiner Ehefrau.

Im Rahmen eines Familienurlaubes wurde deutlich, dass Anne Balser schwerer erkrankt war, als zunächst angenommen. Aufgrund von unangepasstem Verhalten in der Öffentlichkeit wurde sie am 27. August 1940 auf Veranlassung von Dr. Hofmann, (Limburg), in der Anstalt Weilmünster aufgenommen.

Anlässlich der Einlieferung in die Heilanstalt Weilmünster wurden die Daten der Patientinnen und Patienten aufgenommen. Für Anne Balser, die unter der laufenden Nummer 1850 im Aufnahmebuch der Anstalt geführt wird, ist unter Religion „gottgläubig“ verzeichnet. Dieser Hinweis ist von Bedeutung, weil sowohl der Ehemann von Anne Balser, insbesondere aber ihr Vater der Kirche fernstanden. Angehörige von Anne Balser berichteten (2019), dass ihre Mutter und Großmutter zeitlebens religiös gebunden gewesen sei und diese Haltung auch gelebt habe.

In der Anstalt Weilmünster ging es Anne Balser überaus schlecht. Sie litt an Hunger und den dortigen, unaushaltbaren Lebensbedingungen. Anne Balser schrieb im Jahr 1941: „So schlimme Leute sind wir hier. Die Magenfrage spielt durchweg die größte Rolle. Ausgezehrte, abgemagerte Gestalten … manche hören nichts von ihren Angehörigen. Die werden von anderen Anstalten hierher überwiesen. Was würde ich so gerne im Garten (…) helfen. Hier habe ich leider keine Gelegenheit. (…) Draußen im Garten suchen wir uns eben die frühen Blättchen zur Rohkost (…) von der Hand in den Mund.“ Von ihrer Familie wurden Anne Balser Lebensmittelpakete zugesandt, da eine Besuchssperre erlassen worden war. Ob diese Sendungen ordnungsgemäß zugeteilt wurden, bleibt offen. Wilhelm Balser wusste um die Ermordung von Menschen mit Behinderung in der Anstalt Hadamar und tauscht sich hierüber mit seinem Schwiegervater brieflich aus. Scheinbar war er, trotz seines aktiven, auch militärischen Einsatzes für das NS-System nicht in allen Punkten konform mit der NS-Politik gegen vorgeblich „Minderwertige“. Sowohl Wilhelm Balser wie auch sein Schwiegervater intervenierten in aller Deutlichkeit gegen Versuche, Anne Balser wegen einer vorgeblichen „Erbkrankheit“ der Zwangssterilisation zu unterziehen.

Die in Weilmünster erlassene Besuchssperre interpretiert Wilhelm Balser als ein Alarmzeichen, deutet in einem Brief vom März 1941 an, seine Ehefrau könne der Vernichtung „unwerten Lebens“ zum Opfer fallen. Die Bemühungen der Familie, Anne Balser in einer anderen Heilanstalt unterzubringen, werden nicht umgesetzt. Am 13. September 1942 soll Anne Balser um 6.15 Uhr morgens in Weilmünster an einer Herzerkrankung verstorben sein. So die Mitteilung an die Familie. (Eine mehr als zwei Monate später ausgefertigte Sterbeurkunde weist als vorgebliche Todesursache „Schizophrenie“ aus.)

Der Nachricht von der vorgeblich „natürlichen Todesursache“ schenkt Wilhelm Balser ausdrücklich Glauben. In einem Brief an Gustav Wyneken schreibt er, in Weilmünster werde „niemand durch letzte ärztliche Mittel von seinen Leiden befreit.“ Anne Balser wird auf dem Anstaltsfriedhof in Weilmünster im Grab Nr. 1449 (Signatur B 19 Nr. 63) beigesetzt. Ihre Familie war bei der Beerdigung anwesend, ein für die damalige Zeit unüblicher Vorgang. Das Grab von Anne Balser, das ihre jüngste Tochter viele Jahre pflegte und ihm regelmäßig Besuche abstattete, wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt nach dem Jahr 1956 eingeebnet und ist heute nicht mehr sichtbar.

Am 17. Dezember 2019 wurde ein Stolperstein für Anne Balser an ihrem letzten frei gewählten Wohnort in Kaltenholzhausen verlegt. Anwesend bei der Verlegung waren zwei ihrer Nichten wie auch ihre jüngste Tochter.